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Migranten in Spanien Wie Sklaven unter Plastik

Wer im Winter in den Supermarkt geht, findet dort Paprika, Tomaten, Zucchini. Möglich wird das alles, weil Arbeiter aus Afrika in den Gewächshäusern Südspaniens schuften – ohne Rechte und Zukunft. Shelina Islam (Text) und Bodo Marks (Fotos) haben sie in Almería besucht.

Es ist sieben Uhr morgens im südspanischen El Ejido. Der Boulevard am Ortsausgang liegt im gelben Licht der Nachtlaternen, die Rollläden der Häuser und Geschäfte sind noch geschlossen. Aus dem Schutz der Dunkelheit tauchen sie auf, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, stumm, unauffällig.

In kleinen Gruppen sammeln sie sich am Straßenrand und an der Tankstelle am Boulevard. Das Licht der Straßenlaternen erhellt hier und da ein müdes Gesicht, es fallen kaum Worte. Kleintransporter fahren im Schritttempo den Boulevard hinauf, einer hält vor einer versprengten Gruppe. Ein Fenster wird heruntergekurbelt, Bewegung kommt in die Wartenden. Ein kurzer Wortwechsel, sie steigen ein und der Wagen entfernt sich so lautlos, wie er gekommen ist.

Täglich warten im Intensivanbaugebiet von Almería Tausende Tagelöhner auf ihre Anwerbung durch die Patrones, um in einem der Gewächshäuser einen Tagesjob als Erntehelfer zu ergattern. Die meisten von ihnen sind papierlose Immigranten aus dem Maghreb oder Ländern südlich der Sahara, die in Booten vor den Kanarischen Inseln aufgegriffen werden.

Nur selten protestieren sie nach den durchstandenen Strapazen noch gegen die Lebensbedingungen, die sie erwarten, wenn sie spanisches Festland erreichen. Doch was für die Produzenten ein gutes Geschäft mit billigen Arbeitskräften ist, bezahlen die Immigranten teuer. Und dem Endverbraucher ist selten klar, unter welchen Bedingungen die günstigen Obst- und Gemüseangebote in seinem Supermarkt zustande kommen.

Drei Nächte lang plünderten sie die Stadt

Auch Abdelkader Chacha kam vor 30 Jahren aus Marokko nach Almería, um in den Gewächshäusern zu arbeiten. Heute ist er Mitarbeiter der Landarbeitergewerkschaft Syndicato dos Obreras/os del Campo (SOC), die sich für die Rechte der papierlosen Arbeitsimmigranten einsetzt und gegen ihre Ausbeutung durch die Unternehmer kämpft.

"Die Immigranten, die unter dem Plastik arbeiten, sind die Sklaven von heute!" Abdelkaders Blick schweift über die schmutzigweißen Plastikplanen, die um die Mittagszeit träge im heißen Wind flattern. "Die Bauern verdienen gutes Geld an uns, aber sie behandeln uns wie Dreck."

Wolkenverhangene Berge begrenzen das Meer aus Plastik, das sich bis in die Ausläufer der Sierra de Gádor hinaufschiebt. Lastwagen aus dem südspanischen Anbaugebiet rollen täglich über die Autobahnen Richtung Norden, um deutsche Supermärkte mit billigem Obst und Gemüse zu beliefern. Mittlerweile bedecken die Treibhausplantagen 350 Quadratkilometer der Provinz Almería. Sie reichen bis an die Häuser der Wohnviertel heran, säumen die Schnellstraßen und umschließen die Ortschaften wie eine Schicht aus silbrig glänzendem Tüll.

Mitten im sogenannten Plastikmeer liegt die Kleinstadt El Ejido mit ihren sauber gefegten Straßen, Glasfassaden und sorgfältig angelegten Blumenrabatten. Sie zeugt von dem Reichtum, den die Gewächshauskultur vor 25 Jahren in die ehemals ärmste Region Spaniens brachte. Heute zählt El Ejido 76.000 Einwohner, besitzt 71 Bankfilialen und verfügt über eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen des Landes. Etwa 80.000 Immigranten, die Hälfte davon ohne Papiere, tragen in der Region Almería entscheidend zum spanischen Gemüseexport bei.

Sie machen einen beträchtlichen Teil der ansässigen Bevölkerung aus, dennoch leben sie am Rande der Stadt. Rassismus und Xenophobie haben in El Ejido Hass geschürt, der sich im Februar 2000 in einer Welle von Gewalt entlud. Drei Nächte lang zog ein Mob vermummter Bauern und Jugendlicher plündernd und brandschatzend durch die Stadt, nachdem ein geistig verwirrter Marokkaner eine junge Spanierin getötet hatte. Die Polizei schritt erst ein, als die Schläger drohten, eine Gruppe Marokkaner zu lynchen, die in einer Cafeteria Zuflucht gesucht hatte. Bis dahin waren die Einsatzkräfte der strikten Anweisung gefolgt, nicht einzugreifen.

Ein Leben in notdürftigen Hütten - wie die Immigranten in El Ejido leben

Auch die Mitarbeiter der Gewerkschaft sind immer wieder Einschüchterungsversuchen ausgesetzt. Bei einem Übergriff erstachen Jugendliche im vergangenen Jahr den 40-jährigen Azzouz Hosni, als dieser eine Bar verließ. Der Marokkaner war Mitglied bei der SOC. Die Gewerkschaftsmitarbeiter vermuten, dass es sich bei dem Mord um eine politisch motivierte Tat handelt. El Ejidos Bürgermeister Juan Enciso Ruiz von der konservativen Partido Popular ("Volkspartei") folgt derweil unbeirrt seiner populistischen Linie und wird nicht müde, seinen Leitspruch zu zitieren: Immigranten ja, aber außerhalb der Stadt.

Außerhalb der Stadt, das ist zwischen den Gewächshäusern. Jeden Abend kehren diejenigen, die tagsüber Arbeit gefunden haben, in ihre Unterkünfte im Plastikmeer zurück.

Die Sonne geht hinter den Gewächshäusern unter, während die Arbeiter auf ihren Fahrrädern die staubigen Hauptstraßen entlang radeln. An ihren Lenkern baumeln Wasserkanister und Plastiktüten mit Essen. Enciso Ruiz, der seit über zehn Jahren seinen Sitz im Rathaus hält, lächelt von Werbeplakaten auf sie herunter. "Vertraue dem, der dir nie den Rücken zuwenden wird - 100 Prozent im Interesse der Stadt."

Ein paar Meter weiter das Zuhause derer, die Enciso am liebsten aus seinem Blickfeld verbannen würde: Auf einem verlassenen Platz, der als Müllabladefläche dient, haben marokkanische Arbeiter Hütten aus notdürftig zusammengezimmerten Paletten gebaut. Plastikplanen überdecken die Konstruktion, einzige Einrichtung ist ein klappriges Bettgestell. Draußen schwelt eine Feuerstelle, der Gestank verfaulten Gemüses liegt in der Luft.

Fliegen schwirren über einem Haufen von verrottendem Treibhausmüll. Trinkwasser und Strom gibt es hier nicht. "Wasser zum Wäschewaschen und Kochen holen wir uns aus der Balsa". Das sind die Wasserbassins, die der Bewässerung der Gewächshäuser dienen und meist die einzige Wasserquelle der Barackenbewohner sind. Alte Pestizidkanister schwimmen in ihnen. "Prohibido bañarse" steht am Beckenrand, und Bauer Juan Alonso erregt sich, dass die Arbeiter trotzdem hineinsteigen, um Wasser zu holen. "Irgendwann schafft es einer nicht mehr heraus, das kennen wir doch, und dann ist es mein Becken, in dem er verreckt. "

Lehrer, Bauern, Fischer, Studenten - egal, welchem Beruf die Immigranten in ihrem Herkunftsland nachgingen, hier durchleben alle dasselbe. "An den Gewächshäusern kommst du nicht vorbei, sie sind für die 'Papierlosen' das Tor nach Spanien", sagt Spitou Mendy, der 17 Jahre lang Professor für Sprachen im Senegal war, bevor er hierher kam, um in den Gewächshäusern sein Glück zu suchen. "Nur hier wird es von offizieller Seite geduldet, Illegale zu beschäftigen. Kontrollen gibt es kaum, wir haben nur fünf Inspektoren für die gesamte Provinz, und die kommen eh nur, wenn es Probleme gibt. Außerdem werden die Kontrolleure vorher angekündigt und der Patrón sorgt dann dafür, dass alles sauber ist, bevor sie eintreffen."

Die Situation der Arbeiter sei fatal. Man beute sie aus. Zudem würden sie mit der ständigen Angst leben, abgeschoben zu werden, so Mendy. Obwohl der Vertrag für Tagelöhner in der Landwirtschaft auch für die 'Papierlosen' gilt, wird mit ihren Rechten Schindluder getrieben. Der Patrón überzieht willkürlich die Arbeitszeit und zahlt viel zu wenig. Die Leute spritzen Pestizide ohne Schutzkleidung und leiden an Hautausschlag und Kopfschmerzen. Manche bekommen Krebs. "Die Arbeiter weigern sich, Schutzkleidung zu tragen. Wieso sollte ich sie dazu zwingen?"

Juan Andrés, Leiter einer großen Treibhausplantage, demonstriert den Gewerkschaftsmitarbeitern zwei Gasmasken und dazugehörige Schutzanzüge in seinem Werkschrank. "Außerdem, was soll's. Wenn sie wirklich durchs Sprühen kontaminiert werden, dann sind sie es eh längst." 30 seiner Arbeiter befinden sich seit den Morgenstunden im Streik und fordern sauberes Trinkwasser, Atemschutzmasken, den vertraglich festgelegten Stundenlohn. Sie stehen in der sengenden Mittagssonne vor der Halle, Staub bedeckt ihre Füße, einige tragen Sandalen, dazu T-Shirts, abgetragene Hosen.

Der Arbeiter Mohammed hat seine Papiermaske in die Stirn geschoben. "Seit vier Monaten sprühe ich Tag für Tag Gift. Immer nur mit dieser Maske aus Papier. Manchmal arbeite ich 16 Stunden am Tag und bekomme dafür 36 Euro." Mit verschränkten Armen stehen sie ihrem Patrón gegenüber. "Mehr kann ich nicht zahlen", wettert Juan Andrés, er schwitzt, sein Bauch quillt über den Hosenbund. Mehr Geld, dafür weniger Leute, das ist sein Angebot. "Sehen sie, was die mit mir machen. Die Produktion muss heute noch raus!" Vor der Halle steht ein BMW-Luxusmodell.

Ohne Umwege auf deutsche Tische

Bei Agrupaejido, einer der größten Versteigerungsplattformen für Obst und Gemüse in der Region, herrscht sechs Tage in der Woche geschäftiges Treiben. 5000 Bauern setzen hier pro Jahr ihre Treibhausprodukte ab, die an Abnehmer in ganz Europa gehen. Über Billigdiscounter und Supermärkte landen die Produkte ohne Umwege auf deutschen Tischen. Auch wenn einige der Produkte einer Kontrolle durch lokale Behörden und Zertifizierungsinstanzen wie EurepGAP unterliegen, reicht das noch lange nicht aus, um die menschenunwürdige Situation der Arbeiter vor Ort zu verbessern.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace setzt sich schon seit langem für Umweltstandards in der Agrarindustrie ein. Seitdem hat sich auch das Bewusstsein vieler Konsumenten für die Qualität ihrer Lebensmittel geschärft. Doch während Normen für einen ökologisch verantwortungsvollen Umgang in der Landwirtschaft langsam Fuß fassen, bleibt die Sorge um menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter auf der Strecke.

Initiativen für verbesserte Arbeitsbedingungen wie die der BSCI (Business Social Compliance Initative) gibt es bereits. Doch bislang fehlt der nötige Druck auf Anbieter und Institutionen, diese auch umzusetzen.